Ausbildungsduldung: Planungssicherheit für Unternehmen

Wer darf eine Ausbildungsduldung beantragen? Welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Antragsstellung erfüllt sein?

Die Lebensversicherung von 1871 a. G. München, ein traditionsreicher Versicherungsverein, ist Spezialist für Berufsunfähigkeitsversicherungen sowie Lebensund Rentenversicherungen. Seit 2017 bildet das Unternehmen erstmals einen Geflüchteten aus. Der junge Mann aus Afghanistan macht eine Ausbildung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung.

Wie haben Sie von der Ausbildungsduldung, der sogenannten „3+2-Regelung“, erfahren?

Das war tatsächlich erst relativ spät. Also erst nachdem Herr Akrami seinen Ausbildungsvertrag bei uns unterzeichnet hatte. Die Ausbildung von Geflüchteten ist in der Versicherungsbranche eher selten. In diesem Zusammenhang haben wir ein Interview mit dem Arbeitgeberverband geführt. Die Mitarbeiterin dort engagiert sich privat sehr für Menschen mit Fluchthintergrund. Sie wusste von der „3+2-Regelung“, hat uns davon erzählt und wir haben dann zu einem späteren Zeitpunkt Kontakt zu dem Ansprechpartner bei der Ausländerbehörde aufgenommen.

Wie konnten Sie als Unternehmen bei der Antragsstellung unterstützen?

Wir kannten unseren Azubi bereits vor Vertragsschluss, da er bei uns ein Praktikum absolviert hat. Daher wussten wir auch, dass seine Deutschkenntnisse gut sind. Allerdings kam er bei den ganzen Formalitäten an seine Grenzen. Wir haben Herrn Akrami bei den verschiedenen Behördengängen begleitet und auch bei der schriftlichen Antragsstellung unterstützt und fanden die Verwaltungssprache mitunter selbst sehr kompliziert. Glücklicherweise können wir uns als Kolleginnen untereinander austauschen und unterstützen, um auch den zeitlichen Mehraufwand leisten zu können.

Was empfehlen Sie anderen Betrieben?

Man sollte sich auf gar keinen Fall abschrecken lassen. Und man braucht Geduld. Wir würden anderen Unternehmen empfehlen, sich frühzeitig über die verschiedenen Möglichkeiten und Fördermaßnahmen zu erkundigen. Öffentliche Einrichtungen und eine große Zahl an Initiativen können dabei helfen. Außerdem war es sehr hilfreich im Vorfeld zu erfragen, welche Unterlagen vorliegen müssen. Oft dauert es, bis man alle Dokumente zusammen hat und so erspart man sich doppelte Wege.

Den Einstieg in die Ausbildung erfolgreich meistern

Wie können Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Fluchthintergrund an eine Ausbildung heranführen?

Limtronik ist ein Dienstleister für Electronic Manufacturing Services. Mit rund 150 Mitarbeitern am Standort in Limburg a. d. Lahn und weiteren 25 im Tochterunternehmen Aurora (USA) entwickelt und produziert das Unternehmen elektronische Baugruppen sowie maßgeschneiderte Systeme. Seit einigen Jahren werden die 16 Auszubildenden im Unternehmen durch vier Kollegen mit Fluchthintergrund, die eine Einstiegsqualifizierung (EQ) im Unternehmen absolvieren und bereits absolviert haben, unterstützt.

Denise van Herk, Personalreferentin Human Resources, und Michael Schwertel, Leiter der Aus- und Weiterbildung bei Limtronik, halten gerade die EQ für eine gute Möglichkeit, Geflüchtete an eine Ausbildung heranzuführen.

Was ist Ihre Motivation für die Integration von Geflüchteten in Ihren Betrieb?

Wir sehen es als unsere unternehmerische Verantwortung, die Menschen zu unterstützen. Eine erfolgreiche Integration geht dabei immer auch über den Weg in Arbeit. In den geflüchteten Menschen sehen wir außerdem auch die Auszubildenden und Mitarbeiter von morgen, die eine Antwort auf den Fachkräftemangel in unserer Branche sein können. Dieses Potenzial wollen wir nicht ungenutzt lassen.

Wie haben Sie von der Einstiegsqualifizierung erfahren?

Wir nutzen die EQ bereits seit Längerem erfolgreich, um Jugendliche vorzubereiten, die noch nicht in vollem Maße über die Ausbildungsreife verfügen. Gerade bei Mitarbeitern mit Fluchthintergrund kann die EQ neben der Vorbereitung auf eine Ausbildung die praktischen Sprachkenntnisse verbessern, also fachlich und sprachlich an eine Ausbildung heranführen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile einer EQ?

Ein wesentlicher Vorteil ist, dass man als Unternehmen nicht alleine in der Verantwortung steht. Die Integrationsarbeit in den Job verteilt sich auf mehrere Schultern. Gerade kleinere Betriebe profitieren davon enorm. Außerdem hat man als Unternehmen die Möglichkeit, EQ-Teilnehmer über einen vergleichsweise langen Zeitraum bei der täglichen Arbeit kennenzulernen. Gleichzeitig können die Teilnehmer die Berufsschule besuchen und in Sprachkursen ihre Deutschkenntnisse verbessern. Der Einstieg in die Ausbildung gelingt dann viel unkomplizierter. Ein tolles Beispiel ist unser Mitarbeiter Herr Ganesalingam. Er hat seine Abschlussprüfung zum Industrieelektriker für Geräte und Systeme als Landesbester in Hessen abgeschlossen und auch die Anschlussausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme mit guten Leistungen abgelegt.

Wie Sie neue Mitarbeiter suchen & finden

Sie haben sich entschieden, eine Stelle mit einem/einer Geflüchteten zu besetzen? Sie wissen aber nicht, wie Sie eine geeignete Person kennenlernen können?

Die Bayerische Blumen Zentrale ist ein Großhandel für Blumen, Pflanzen und Floristenbedarf. Die 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 13 verschiedenen Nationen stehen für die offene und interkulturelle Arbeitskultur des Unternehmens aus Parsdorf. Mittlerweile erweitern auch vier Geflüchtete das Team.

Sonja Ziegltrum-Teubner, Geschäftsführerin der Blumen Zentrale, hat ihre neuen Mitarbeiter über eine ehrenamtliche Initiative der Flüchtlingshilfe gefunden.

Wie haben Sie die Geflüchteten gefunden und eingestellt?

Die Ausbildungssituation im Großraum München ist schon seit längerer Zeit angespannt. Es wird immer schwieriger, die Stellen zu besetzen. Ende 2015 kam dann über eine Freundin, die ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig ist, die Idee, offene Stellen mit Geflüchteten zu besetzen. Der konkrete Kontakt zu unseren geflüchteten Mitarbeitern ist dann auch über diese Initiative bei uns vor Ort entstanden.

Das heißt, man braucht bei Integrationsfragen die Kooperation mit anderen?

Auf jeden Fall. Ich habe beispielsweise auch monatelang mit der Arbeitsagentur nach einem Mitarbeiter für unsere Werkstatt gesucht. Über den Helferkreis Vaterstetten-Grasbrunn habe ich dann ganz unkompliziert einen passenden Kandidaten gefunden. Zudem haben die Ehrenamtlichen bei allen bürokratischen und auch praktischen Fragestellungen unterstützt – z. B., wie der neue Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag in den Betrieb findet.

Und Ihre Empfehlung an andere Unternehmen zur Kontaktaufnahme mit Geflüchteten?

Gehen Sie auf ehrenamtliche Helfer bei sich vor Ort zu. Diese kennen die Flüchtlinge gut und können anhand Ihrer Jobbeschreibung häufig am schnellsten und besten den passenden Kandidaten für Sie finden.

Der Start ins Unternehmen: Wer darf wann arbeiten?

Sie wollen eine Stelle in Ihrem Unternehmen mit einem oder einer Geflüchteten besetzen? Wie kommen Sie mit geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten in Kontakt, welche Informationen brauchen Sie und welche Formalia müssen Sie vorab klären?

Die Firma GRUNSKE Metall-Recycling GmbH & Co. KG, ein Tochterunternehmen des führenden Umweltdienstleisters und Rohstoffversorgers ALBA Group, ist Spezialist für Stahl- und Metallrecycling sowie Entsorgungslogistik. Das Unternehmen beschäftigt derzeit vier Geflüchtete – zwei Auszubildende zum Berufskraftfahrer und zwei Festangestellte als Lader im Fuhrpark.

Jörg Rauschenbach, Geschäftsführer der Firma GRUNSKE, sieht Geflüchtete als echte Chance für das Unternehmen.

Was war Ihre Motivation, Flüchtlinge bei sich im Unternehmen zu beschäftigen?

In unserer Branche gibt es schon seit Längerem einen Fachkräftemangel. Wir sind daher immer auf der Suche nach motivierten Auszubildenden und sehen die Geflüchteten in Deutschland als eine echte Chance für unser Unternehmen.

Welche Punkte halten Sie vor der Einstellung eines Geflüchteten in den Betrieb für besonders relevant?

Der arbeitsrechtliche Status der potenziellen Mitarbeiter muss geklärt sein. Bei der Einstellung muss eine ganze Reihe an Formalitäten beachtet werden, die je nach Aufenthaltstitel des Flüchtlings variieren. Dies ist für uns als Unternehmen besonders relevant, um Planungssicherheit zu haben, denn wir streben immer eine längerfristige Zusammenarbeit an. Außerdem ist es auch sehr wichtig, vorab abzuklären, ob ausreichende Deutschkenntnisse vorhanden sind, und sich über mögliche kulturelle Unterschiede und den Umgang mit diesen zu informieren.

Und was sind Ihre Tipps zur Einstellung von Geflüchteten für andere Unternehmen?

Es ist wichtig, dass man als Unternehmen auf Ausbildungsmessen und Jobbörsen und auch gegenüber ehrenamtlichen Initiativen immer wieder betont, dass man an der Beschäftigung von Geflüchteten interessiert ist. So kommt man am ehesten mit diesen in Kontakt. Und man braucht Mitarbeiter aus der Stammbelegschaft, die diese Entscheidung mittragen´ und den neuen Kollegen von der ersten Minute an zur Seite stehen.

Teilqualifikationen als Chance für Menschen mit Fluchthintergrund

Wie können ältere Geflüchtete ohne Berufsabschluss auf dem Weg zur Fachkraft unterstützt werden? Wie werden berufsrelevante Kompetenzen sichtbar?

CO-CHECK GMBH, NÜRNBERG (BAYERN)

Die co-check GmbH mit Sitz in Nürnberg ist ein AZAV-zertifizierter Bildungsträger mit Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Industrie- und Handwerksbereich. Der Geschäftsbereich Bildung wurde 2016 aus der Industrie heraus gegründet und kann daher auf Erfahrungen und Kenntnisse der hohen Anforderungen der industriellen Fertigung zurückgreifen.

Die nachhaltige Integration von Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt spielt eine immer größer werdende Rolle für die Unternehmensgruppe mit ca. 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine schnelle, am Markt orientierte berufliche Qualifizierung in Kombination mit Sprachvermittlung sind ein guter Weg, beruflich Fuß zu fassen in Deutschland, erklärt Aram Azimi, Projektmanager bei co-check.

Wieso sind Teilqualifikationen (TQ) ein gutes Instrument für Menschen mit Fluchthintergrund?

Über TQ können Menschen mit Fluchthintergrund oftmals das erste Zertifikat mit Wertigkeit und Relevanz für den deutschen Arbeitsmarkt erwerben. Erste Lernerfolge im Rahmen der TQ führen bei unseren Teilnehmern und Teilnehmerinnen dann meist zu einem Lernhunger und können so der erste wichtige Schritt Richtung Fachkraft sein. Zudem sprechen TQ die Zielgruppe der über 25-Jährigen an, für die es grundsätzlich eher wenige Maßnahmen gibt, und bieten eine hohe Flexibilität für die Teilnehmenden.

Wie genau läuft die TQ-Maßnahme ab?

Wir haben die Maßnahme gemeinsam mit der IHK Nürnberg spezifisch für die Gruppe der Geflüchteten entwickelt. Die IHK Nürnberg führt am Ende einer TQ-Maßnahme eine Kompetenzfeststellung durch und vergibt ein IHK-Zertifikat, das eine bundesweit einheitliche Anerkennung garantiert. In die TQ-Maßnahme ist bei uns eine Kombination aus fachlicher Qualifizierung und dem Erlernen von fachspezifischem Deutsch über sechs bis sieben Monate integriert. Dann geht es zwei Monate für ein Praktikum in einen Betrieb. Stabilisierende Maßnahmen wie z. B. eine sozialpädagogische Betreuung der Teilnehmenden sind ebenfalls möglich.

Was empfehlen Sie anderen Betrieben?

Betriebe können unseren TQ-Teilnehmenden z. B. einen Praktikumsplatz anbieten oder Hilfskräfte im Unternehmen über eine Teilqualifizierung weiterbilden und so den Weg in Richtung Berufsabschluss ebnen. Wer sich für TQ interessiert, wendet sich am besten an seine IHK vor Ort oder an die Arbeitsagentur bzw. das Jobcenter. Wir tragen unseren Teil, von der kompletten Qualifizierung bis zur Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt, dann mit großer Freude bei.

Prüfung in der Praxis – Kompetenzen richtig einschätzen

Sie möchten eine Stelle mit einer geflüchteten Person besetzen – wissen aber nicht, welche Qualifikationen sie mitbringt? Wie gelingt es, auch jenseits von deutschen Ausbildungswegen und Zeugnissen geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden?

Michael Hagemann, Geschäftsführer des BZI, und Marcel Bechte, als Willkommenslotse im Berufsbildungszentrum tätig, ermöglichen Geflüchteten im BZI erste Einblicke in die duale Berufsausbildung in Deutschland.

Das Berufsbildungszentrum der Remscheider Metall- und Elektroindustrie GmbH (BZI) bietet jungen Flüchtlingen im Rahmen einer Berufsorientierung die Möglichkeit, verschiedene Berufsfelder und Arbeitsvorgänge der Metall- und Elektrobranche kennenzulernen.

Was war Ihre Motivation für das Engagement für Geflüchtete?

Eine unserer Aufgaben ist es, geeignete Nachwuchskräfte für die Industrie bei uns vor Ort zu finden und zu qualifizieren. Für uns war daher gleich klar, dass wir unsere ausbildungsvorbereitenden Maßnahmen auch auf die Zielgruppe der Flüchtlinge ausdehnen und zuschneiden müssen.

Mit welchen Methoden schätzen Sie die beruflichen Fähigkeiten und Qualifikationen von Flüchtlingen ein?

Wir haben uns ganz klar gegen theoretische Tests entschieden. Diese überfordern die Geflüchteten häufig. Wir laden stattdessen direkt an unsere Werkbank ein. Feilen, Anreißen, Körnen und Bohren: Diese Arbeitsschritte stehen in der Metallindustrie tagtäglich an und können in unserer Probierwerkstatt in der Praxis getestet werden.

Und Ihre Empfehlung an andere Unternehmen zur Einschätzung der Kompetenzen von Geflüchteten?

Beim ersten Kennenlernen ist es wichtig, die Fähigkeiten und Qualifikationen ganz praktisch abzufragen. Die Gespräche finden direkt in unserer Werkstatt statt, um gestenunterstützt über Werkzeuge und Arbeitsschritte sprechen zu können. Zur Einschätzung des Sprachniveaus lasse ich die Bewerber gerne einen Text vorlesen; die Fertigkeiten an der Werkbank lassen sich über eine kleine praktische Aufgabe erfassen.

Der richtige Auswahlprozess – der Start in die Zusammenarbeit

Sie wollen Geflüchtete bei sich im Unternehmen einstellen? Wie können Sie den Auswahlprozess gestalten, um eine erfolgreiche Integration des Bewerbers/der Bewerberin in Ihren Betrieb sicherzustellen?

Die UNICBLUE GmbH & Co. KG konzipiert und realisiert Messekonzepte sowie Marken- und Produktkampagnen. Drei Geflüchtete absolvieren seit August 2015 ihre Ausbildung als Tischler und Marketing- und Kommunikationskaufmann bei dem Gelsenkirchener Unternehmen.

Franz Przechowski, Geschäftsführer von UNICBLUE, empfiehlt bei der Einstellung der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem auf die sogenannten Soft Skills zu achten.

Sie haben bereits Geflüchtete bei sich im Unternehmen eingestellt. Was hat Sie dazu bewegt, was war Ihre Motivation?

Ich halte es mit John F. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich, sondern frage, was du für dein Land tun kannst.“ Anfang 2015 mussten mutige Entscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus kann ich nach der Ausbildungszeit auf drei neue Fachkräfte zählen.

Gab es auch Probleme und Herausforderungen bei der Einstellung?

Anfangs gab es keine Behörde, die mir Flüchtlinge vermitteln oder überhaupt etwas zur Einstellung sagen konnte. Ich musste die Sache selbst in die Hand nehmen. Über einen Aufruf bei Facebook kam ich recht schnell mit der ELNET-Bleiberecht in Kontakt – einem Integrationsprojekt, das sich an Geflüchtete richtet, die eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen wollen.

Wenn Sie anderen Unternehmen einen Tipp zum Thema „Einstellung von Geflüchteten“ geben müssten, welcher wäre dies?

Legen Sie den Fokus in Ihrem Auswahlprozess vor allem auf die Soft Skills der Bewerber. Diese können Sie in einem Auswahlgespräch viel unkomplizierter abfragen als Fragestellungen zu Zeugnissen und formalen Qualifikationen. Einer unserer Tischler-Azubis antwortete im Auswahlgespräch auf die Frage, wovon er träume, zum Beispiel: „mit den Händen zu arbeiten“. Da war mir klar, dass er der Richtige für die Stelle ist.

Von Geflüchteten zu Beschäftigten: Der Einstieg ins Unternehmen

Wo beginnen Sie am besten, wenn Sie mit Geflüchteten zusammenarbeiten wollen? Wie gelingt der Einstieg in Ihr Unternehmen?

Die Norbert Schaub GmbH vertreibt chemisch-technische Produkte und Spezial-Schmierstoffe für die Automobilindustrie sowie spezielle Marderabwehrprodukte. Seit 1. August bildet das Unternehmen einen Flüchtling aus Gambia zum Groß- und Außenhandelskaufmann aus – als ersten Auszubildenden überhaupt im Unternehmen.

Marika Essig, Assistentin der Geschäftsleitung, freut sich, dem neuen Mitarbeiter diese Chance bieten zu können.

Woher rührt Ihr Engagement für die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt?

Wir sind bereits seit Längerem in verschiedenen Bereichen sozial engagiert und immer auf der Suche nach guten Fachkräften. Für uns war deshalb klar, dass wir uns auch für Geflüchtete engagieren. Es ist uns wichtig, ihnen eine echte Chance und Perspektive hier in Deutschland zu bieten.

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Einstellung gemacht?

Unsere Belegschaft stand von Anfang an hinter der Entscheidung, einem Geflüchteten die Ausbildung im Betrieb zu ermöglichen – auch wenn es für beide Seiten nicht leicht wird. Besonders positiv empfanden wir den Austausch mit regionalen Akteuren und Initiativen: Über den Mülheimer Flüchtlingshelferkreis kam der Kontakt zu Musa Nijie zustande. Und auch unsere IHK und Unternehmen, die bereits Geflüchtete beschäftigen, waren gute und hilfreiche Ansprechpartner für unsere Fragen.

Und Ihr Tipp an andere Unternehmen, die einen Flüchtling einstellen wollen?

Für uns war klar, dass wir den neuen Mitarbeiter erst einmal besser kennenlernen müssen, um seine Qualifikationen und Fähigkeiten einschätzen zu können. Mein Tipp an andere Unternehmen ist es daher, zunächst ein Praktikum anzubieten. Wir haben hier nur gute Erfahrungen gemacht: Die Mitarbeiter haben Musa Nijie gerne unterstützt und er war sehr wissbegierig. So reifte bei uns schnell der Entschluss, ihm einen Ausbildungsvertrag anzubieten.

Geflüchtete in der Pflegebranche

Sie sind auf der Suche nach Personal in der Pflegebranche und denken darüber nach, Menschen mit Fluchthintergrund zu beschäftigen? Wie kann der Weg zur Fachkraft in der Praxis aussehen? Wie wichtig ist die deutsche Sprache im Arbeitsalltag?

„BEI ST. OTTO“ GMBH, LAUF AN DER PEGNITZ

Die Seniorenbetreuung und -pflege „bei St. Otto“ bietet seit 2002 bis zu 68 Pflegeplätze in Doppelund Einzelzimmern mit eigenem Badezimmer an. Rund 40 Pflegekräfte sind bei dem Familienbetrieb in Lauf an der Pegnitz beschäftigt. Aktuell werden sie von vier Mitarbeitern mit Fluchthintergrund unterstützt, die Kristine Lütke, Geschäftsführerin des „bei St. Otto“, sehr gerne bei sich beschäftigt.

Was war Ihre Motivation, Menschen mit Fluchthintergrund zu beschäftigen?

Wir beschäftigen schon immer Mitarbeiter aus vielen verschiedenen Ländern. Geflüchteten eine Chance zu geben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, war daher selbstverständlich für uns. Die Pflegebranche kann über eine Helfertätigkeit einen guten Einstieg bieten, und für uns ist es eine riesengroße Chance, offene Stellen zu besetzen und unseren Beitrag zur Integration zu leisten.

Können Geflüchtete Fachkräfte im Pflegebereich werden? Und wie kann dieser Weg aussehen?

Wir beschäftigen bereits seit Längerem einen Mitarbeiter mit Fluchthintergrund. Solomon kommt aus Äthiopien und hat 2005 über ein Praktikum den Einstieg als Altenpflegehelfer bei uns gefunden. Nach ca. einem Jahr kam er auf mich zu und meinte, dass er gerne eine Ausbildung machen würde. Über WeGebAU sind wir dann gemeinsam diesen Schritt gegangen.

Inzwischen hat sich Solomon über den Wundmanager zur leitenden Pflegekraft in der Pflege „bei St. Otto“ weiterqualifiziert. Der Weg zur Fachkraft in Leitungsfunktion wurde bei uns also bereits erfolgreich beschritten und aus meiner Perspektive kann seine Karriere im St. Otto gerne noch weitergehen.

Welche Rolle spielt die Sprache?

Im direkten Kontakt mit den Bewohnern ist ein gewisses Sprachverständnis sehr wichtig. Für eine Ausbildung empfehle ich ein Sprachniveau von B2. In der Pflege „bei St. Otto“ leben wir aber auch nach dem Motto „learning by doing“. Neue Mitarbeiter/-innen schauen sich die täglichen Übergaben z. B. zwei Mal an und müssen dann selbst über ihre Bewohner berichten. So wird die relevante Fachsprache gleich zu Beginn konsequent angewendet und täglich wiederholt.

Perspektiven für Frauen mit Fluchthintergrund bieten

Wie kann die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Frauen gelingen? Wie können Sie als Betrieb den Berufseinstieg unterstützen?

Die Lock Your World GmbH & Co. KG aus Bad Orb mit rund 25 Mitarbeiter/-innen hat „pylocx“ – ein wartungsfreies mechatronisches Schließ- und Berechtigungssystem mit digitalisiertem Verfahren für den In- und Outdoor-Einsatz – entwickelt und auf den Markt gebracht. Zum Start des Ausbildungsjahres 2017 beschäftigt die geschäftsführende Gesellschafterin Manuela Engel-Dahan auch eine junge Frau aus Syrien als Kauffrau für Büromanagement in einer Teilzeit-Ausbildung.

Was war Ihre Motivation, eine Frau mit Fluchthintergrund zu beschäftigen?

Wir sollten alle gemeinsam anpacken, um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zu ermöglichen. Als Vorbildunternehmerin der Initiative „FRAUEN unternehmen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie war für mich daher klar, dass ich gerne einer jungen Frau die Chance geben würde, bei uns im Unternehmen zu arbeiten. Ich freue mich sehr, dass Manal Bourhan aus Syrien nun seit dem 1. August 2017 als Auszubildende zur Kauffrau für Büromanagement bei uns tätig ist.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Ausbildung?

Der Kreis Main-Kinzig, vor allem das Kommunale Center für Arbeit, vertreten durch Frau Erika Kollmann, unterstützt und berät uns bei allen Fragestellungen rund um die Beschäftigung der neuen Mitarbeiterin. Gemeinsam haben wir Lösungen zu Fragestellungen wie „Wer finanziert den Führerschein?“ und „Wie kann die Kinderbetreuung organisiert werden?“ gefunden. Zunächst war es auch schwer, das Abiturzeugnis aus Syrien von Frau Bourhan anerkennen zu lassen. In enger Zusammenarbeit mit den Behörden können wir als Betrieb auch schwierige Hürden nehmen und inzwischen gute Fortschritte erzielen.

Und Ihr Tipp an andere Betriebe?

Es ist wichtig, ganz offen an das Thema heranzugehen und von den Beispielen und Erfahrungen anderer Unternehmen zu lernen. Der Austausch – auch über Herausforderungen – hilft enorm. Und auch eine gute Zusammenarbeit mit den Behörden ist wichtig. Wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, kann sich ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl und eine neue Energie im Betrieb entwickeln, die auch dem Unternehmen zugutekommt.

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