Das Vermittlungsjahr 2022
Geflüchtete aus der Ukraine und neue Gesetzesänderungen
Am 26. September 2022 kamen nach dreijähriger Präsenzpause rund 60 Willkommenslotsinnen und Willkommenslotsen aus ganz Deutschland im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Berlin zu einer großen Jahrestagung zusammen.
In Impulsvorträgen, Workshops und Austauschrunden wurde das Vermittlungsjahr 2022 Revue passiert und neue Herausforderungen und Perspektiven des Projekts diskutiert.
Blick hinter die Kulissen: Migration und Flucht in Kreuzberg
Noch vor Beginn der Jahrestagung erkundeten einige Teilnehmende im Rahmen einer Stadtführung von querstadtein die Gegend rund um den Görlitzer Park im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Stadtführer und Filmemacher Muhammed Jamin, der 2011 als senegambischer Geflüchteter nach Berlin kam, führte uns an verschiedene Schauplätze interkultureller Begegnung des Viertels - darunter soziale Nachbarschaftsprojekte wie die Kontaktstelle für drogenabhängige Menschen Fixpunkt SKA oder das solidarische Praxiskollektiv Reiche121, aber auch und vor allem die vielschichtige Geschichte des Görlitzer Parks. Das ehemalige Gelände des Görlitzer Bahnhofs ist heute Treffpunkt verschiedenster Kulturen, gleichzeitig aber für viele illegal in Deutschland lebende Geflüchtete ein Ort der Zuflucht - und die Möglichkeit, als Dealer Geld zu verdienen. Die Tour endete beim Aufnahmestudio We are born free! Empowerment Radio.
Eröffnung der Jahrestagung: ein Rückblick auf ein bewegendes Jahr
Boris Petschulat, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, eröffnete die Jahrestagung mit einem Grußwort und großen Dank im Namen des gesamten Ministeriums an die über 60 anwesenden Lotsinnen und Lotsen für ihre bisherige Arbeit - besonders in einem bewegenden Jahr wie 2022, geprägt von großen Fluchtbewegungen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nach Deutschland und Europa.
Einblick in die Praxis: die Herausforderungen der Ausländerbehörden und Arbeitsagenturen
In Impulsvorträgen berichteten Engelhard Mazanke, Direktor des Landesamtes für Einwanderung in Berlin, und Oliver Kurz, Leiter des Fachbereichs Arbeitgeber und Marktentwicklung der BA-Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, von ihren Erfahrungen mit der Registrierung und Vermittlung von Geflüchteten aus der Ukraine, die seit dem 24. Februar in Deutschland angekommen sind.
Über 900.000 Menschen sind bisher aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, von denen bisher etwa 40 Prozent eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Allein in Berlin wurden bereits über 42.000 Aufenthaltstitel an Geflüchtete aus der Ukraine ausgehändigt - eine Aufgabe, die das Landesamt für Einwanderung nur mit großer Flexibilität durch ein schnell aufgesetztes digitales Verfahren und Überlastung aller Mitarbeitenden stemmen konnte. Auch bei den Jobcentern in Berlin sind bereits über 21.000 Geflüchtete angemeldet und haben auch Erstgespräche wahrgenommen. Oliver Kurz berichtete außerdem von einem hohen Grad der Selbstorganisation und beruflichen Vorstellungen bei der Zielgruppe, die in der Regel sehr gut vorbereitet in die Beratungsgespräche kommen würden.
"Wir haben bei Geflüchteten aus der Ukraine geschafft, was wir bei der Fluchtbewegung 2015/2016 nicht für möglich gehalten haben"
Engelhard Mazanke, Direktor des Landesamts für Einwanderung in Berlin
Auch das anstehende erste Migrationspaket der neuen Bundesregierung wurde in Impulsvortrag und anschließender Podiumsdiskussion mit den Lotsinnen und Lotsen debattiert, insbesondere das darin angekündigte Chancen-Aufenthaltsrecht für langjährige Geduldete. Kritisch hingewiesen wurde hier von einigen Lotsinnen und Lotsen u.a. auf die schlechte Erreichbarkeit bzw. Überlastung der lokalen Ausländerbehörden, was Herr Mazanke im Gespräch bestätigte und sich in dieser Hinsicht mehr Ermessensentscheidungen und Pragmatismus seiner Amtskolleginnen und -kollegen in den Regionen wünschte. Der Vorschlag einiger Lotsinnen und Lotsen, die Zusammenarbeit zwischen ihnen und den lokalen Arbeitsagenturen und Jobcentern enger zu gestalten, wurde von Herrn Kurz sehr begrüßt und er versprach, diesen Wunsch intern weiterzugeben.
Vermittlung in der Praxis: Auswertung der Jahresberichte und Workshops
Dr. Hendrik Voß, Referatsleiter Internationale Berufsbildungskooperationen, fachliche Ordnungsfragen, Berufswettbewerbe, Stiftung für Begabtenförderung im Handwerk beim ZDH, stellte in guter Tradition die Auswertung der Jahresberichte der Willkommenslots*innen aus dem vergangenen Jahr vor. Deutlich wurde hierbei, dass auch im dritten Jahr der Pandemie Corona immer noch große Auswirkungen auf die Arbeit der Lotsinnen und Lotsen hatte, mit einem - immerhin jedoch stabil gebliebenen - Rückgang der Betriebsberatungen, Beratungsgesprächen mit Geflüchteten und Informationsveranstaltungen. Was Dr. Voß jedoch sehr positiv hervorhob, war die Tatsache, dass die Lotsinnen und Lotsen es unter den stark erschwerten Bedingungen schafften, mit weiterhin hoher Effizienz zu beraten - d.h. der Aufwand pro Beratungszielgruppe für eine erfolgreiche Vermittlung blieb vergleichbar mit dem Wert vor der Pandemie.
In den anschließenden Workshops befassten sich die Willkommenslots*innen zum einen mit der Frage, wie die Zielgruppe der Geflüchteten aus der Ukraine gut erreicht werden kann. Hierfür war Alona Dubova von Fem.Os als Referentin eingeladen, um über ihr aufsuchendes Orientierungs- und Beratungssystem in den sozialen Medien für Migrantinnen vorzustellen.
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde besprochen, wie die Lotsinnen und Lotsen die Zielgruppe bereits erreichen und wie sie praktisch mit etwaigen Sprachbarrieren umgehen.
Im zweiten Workshop wurden die zu Beginn des Tages bereits angekündigten Gesetzesänderungen noch einmal in der Tiefe diskutiert. Hierfür stelle Svenja Solka aus dem Zentralen Rechtsreferat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz den weiteren Gesetzgebungsprozess vor und gab einen groben Ausblick auf weitere geplante Gesetzespakete der Legislaturperiode. In der folgenden Diskussion wurde vorrangig reflektiert, für welche Zielgruppen die Chancen-Aufenthaltserlaubnis geeignet sein könnte (und für welche nicht), wo mögliche Stolpersteine in der Umsetzung liegen könnten und was Lotsinnen und Lotsen, aber auch Betrieben, konkret helfen könnte, um die Gesetzesänderungen optimal für ihre Angestellten zu nutzen.
Die Jahrestagung der Willkommenslots*innen endete mit einem Resümee des Tages von Petra Campanelli, Programmverantwortliche im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, und Marlene Thiele, Projektleiterin beim NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge, sowie der Siegerehrung des Netzwerk-Bingos.
Wir freuen uns sehr, Sie und Euch alle persönlich in Berlin kennengelernt zu haben und freuen uns auf das nächste Wiedersehen!
Wir freuen uns außerdem auf Feedback zu Organisation und Inhalten und bitten euch, an dieser kurzen anonymen Umfrage zur Jahrestagung 2022 teilzunehmen: https://app.sli.do/event/8b9vqnpuqaCMYNf6eG97kg/embed/polls/b6b13d17-e5a0-4317-8810-93a59ab39436