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Doppelte Hürden – wie gelingt die Arbeitsmarktintegration geflüchteter Frauen?

 

Auf dem Arbeitsmarkt haben Frauen mit Fluchthintergrund oft die gleichen Herausforderungen zu bewältigen, wie jede andere berufstätige Frau auch: sich im Job behaupten, parallel die Kinderbetreuung organisieren und den Haushalt im Griff behalten. Neben diesem Balanceakt kommen aber noch weitere Komponenten dazu: eine völlig neue Sprache erlernen und sich in einen neuen Kulturraum einleben. Wie jongliert man/frau das?

 

Von: Caroline Strobel & Valentina Mählmeyer

 

Kampf mit Windmühlen

 

Manal Bourhan ergriff vor drei Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn die Flucht aus Syrien. Die 32-jährige Witwe wollte in Deutschland einen Neuanfang wagen. Nach der kräftezehrenden Flucht hatte sie in Deutschland jedoch mit ganz anderen Windmühlen zu kämpfen: Ihr Abschluss als Zahntechnikerin wurde nicht anerkannt. Auf ein Einkommen angewiesen, erlernte sie einen komplett neuen Beruf – in einer ihr bis dahin unbekannten Sprache.

Durch eine Initiative des Jobcenters wurde sie an das hessische Technologie-Unternehmen und Sicherungstechnik-Hersteller Lock Your World in Bad Orb vermittelt. Nach einem Schnupper-Praktikum fand sich Manal Bourhan wenige Monate später in einer Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement wieder.

Die Ausbildung kann sie in Teilzeit absolvieren und sich nebenbei um ihren Sohn kümmern.

Dass eine Teilzeitausbildung nicht bei vielen Unternehmen gängige Praxis ist, ist Geschäftsführerin Manuela Engel-Dahan durchaus bewusst. Ihr Credo: „Jedes Unternehmen muss für sich einschätzen, was seine Unternehmensziele im Bereich Integration sind. Für mich stand im Vordergrund geflüchtete Frauen zu stärken. Sie erfahren teilweise eine doppelte Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt.“ Zum einen wird Frauen oft die Crux abverlangt, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Bei geflüchteten Frauen kommen teilweise noch (unbewusste) Vorurteile des Arbeitgebers, zu Herkunft und Kultur, dazu. Frauen einen beruflichen Start und somit eine Chance zu geben, liegen der Unternehmerin daher besonders am Herzen.

 

Rund ein Drittel der Asylbewerber sind Frauen – Anteil steigend

 

Eine Chance, die durchaus zukunftsträchtig für Unternehmen sein kann. Mit rund einer halben Million machen geflüchtete Frauen etwa einen Drittel aller Asylbewerber seit 2012 bis 2016 in Deutschland aus. Laut einer Kurzanalyse des BAMF wird dieser Anteil aufgrund des Familiennachzuges künftig steigen. Zwischen den Zeilen der Statistik lässt sich dort noch ungeahntes Potenzial erahnen. Über 40 Prozent der weiblichen Asylbewerberinnen sind unter 18 Jahre alt, weitere 38 Prozent im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Im besten Alter, Neues zu lernen und eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Viele geflüchtete Frauen sehen in Deutschland eine reale Chance, zum Teil zum ersten Mal im Leben selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Manal Bourhan begriff die Ausbildung bei Lock Your World als Chance, die sie im Arbeitsalltag besonders motiviert: „Ich möchte natürlich niemanden enttäuschen und gebe mir Mühe, alle Aufgaben richtig zu machen.“

 

„Die“ geflüchtete Frau gibt es nicht

 

Natürlich ist die Arbeitsmotivation einer Mitarbeiterin ein gutes Fundament. Aber ohne dazugehörige Qualifikation ist sie für viele Unternehmen nicht ganz ausreichend. Das Qualifizierungsniveau ist dabei sehr divers – „die“ geflüchtete Frau gibt es daher nicht. Unter den Asylbewerberinnen sind zum Teil Akademikerinnen aus Syrien oder Iran, die keine Berührungsängste mit MINT-Berufen haben oder bereits als Ingenieurinnen, Journalistinnen oder Lehrerinnen gearbeitet haben. Manche haben jedoch keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung. Neben der Reinigung sind daher aktuell Pflegetätigkeiten sowie Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe wichtige Einsatzgebiete für geflüchtete Frauen, weil diese aufgrund niedrigerer Einstiegshürden, schnell anlernbarer Tätigkeiten und nicht zuletzt wegen dem bestehenden Fachkräftemangel einen schnellen Einstieg ermöglichen. Die Unterschiede im Qualifikationsniveau erklären sich auch durch den Zugang zu Schulen im Herkunftsland. Dabei liegt der Wert für Frauen, die in ihrer Heimat die Schule besuchen konnten, bei 21 Prozent; deutlich unter dem der Männer, der bei 35 Prozent liegt. Damit einhergehend ist der Anteil an bezahlten, beruflichen Erfahrungen von Frauen im Herkunftsland deutlich niedriger als bei Männern. Laut BAMF-Flüchtlingsstudie beträgt der Anteil unter den Frauen 40 Prozent, bei Männern sind es dagegen 75 Prozent. Dabei ist jedoch zu beachten, dass manche Frauen auf dem informellen Arbeitsmarkt (haushaltsnahe Dienstleistungen) tätig waren und teilweise nebenher als Näherin oder Hilfskraft gearbeitet haben. Diese Kenntnisse sind häufig nicht durch Zertifikate nachweisbar, aber durchaus vorhanden. Somit ist es bei geflüchteten Frauen oft schwieriger, die bisherigen Erfahrungen für den deutschen Arbeitsmarkt einzuschätzen.

 

Der Reality-Check: sprachliche Hürden und Teamzusammenhalt

 

Manuela Engel-Dahan hat sich für die Suche nach einer passenden Mitarbeiterin Hilfe bei einer Initiative des örtlichen Jobcenters eingeholt, welche die Kompetenzfeststellung übernahm. Für die Geschäftsführerin ein absoluter Glücksgriff: „Manal Bourhan hat sich gut eingearbeitet und kommt mit allen Kollegen super aus – sie ist wirklich eine Bereicherung für das Team.“ Vor allem für Mittelständler ist es eine unheimliche Entlastung, sich durch bereits existierende Angebote Hilfe bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter zu holen. Neben den Kammern, dem NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge bieten sich auch regionale Initiativen an.

Nichtsdestotrotz gibt es manchmal Verständigungshürden. Eine Herausforderung, die Angela Dovifat vom BMFSFJ geförderten Projekt POINT – Potentiale integrieren des Berliner Bildungsträgers Goldnetz, einer Einstiegsbegleitung für allein geflüchtete Frauen, sehr gut kennt: „Der Spracherwerb ist langwierig – wie lange würden wir wohl brauchen, um auf Arabisch kommunizieren zu können? Kurse bereiten wenig auf das Arbeiten vor. Deutsche Berufsbilder, Bildungswege und Arbeitsmarktregeln sind für die Frauen neu. Die Frauen sind aber sehr motiviert, schnell zu lernen.“

Manal Bourhan findet sich in dieser Aussage wieder. Während die Arbeitskollegen gerne Rücksicht nehmen und bewusster auf ihre Sprache achten, wird in der Berufsschule weniger auf sprachliche Defizite der Auszubildenden eingegangen.

Für Arbeitgeber lohne es sich daher Teilzeittätigkeiten anzubieten, um einen weiteren Spracherwerb zu ermöglichen. Aber auch situationssensible Patinnen im Unternehmen können eine wichtige Hilfestellung sein, betont Angela Dovifat.

Die Kolleginnen und Kollegen von Lock Your World nehmen diese Aufgabe als Team wahr.

„Mein Team richtete spontan einen Fahrdienst ein, damit Frau Bourhan, die noch keinen Führererschein besaß, nach Arbeitsschluss schneller nach Hause war, um für ihr Kind da zu sein. Das macht uns alle sehr stolz, dass wir einen kleinen Teil zur Integration beigetragen können“, hebt Manuela Engel-Dahan hervor.

 

Produktivität durch Diversität

 

Zwar besagt ein Sprichwort „gleich und gleich gesellt sich gerne“ – diese Logik scheint aber im Endeffekt weniger erfolgreich. Auch das Team rund um Frau Manuela Engel-Dahan bestätigt: „Die Mitarbeit von Frau Bourhan hat den Teamgeist und den Zusammenhalt sehr gefördert.“ In einer Studie der Charta der Vielfalt wird vor allem hervorgehoben, dass Diversität im Team die Produktivität fördere, da die Mitarbeiter durch unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen voneinander lernen und gemeinsam zu besseren Lösungen für konkrete Herausforderungen kommen.

Integration im Unternehmenskontext ist also immer noch Teamaufgabe – wie diese gelöst wird, hängt vielerorts auch davon ab, wie die Führungskräfte dahinterstehen und Diversität im Unternehmen konkret umsetzen wollen.

Für Manal Bourhan hat sich der beherzte Einsatz ihrer Chefin gelohnt. Für sie bedeutet die Ausbildung und die Arbeit auch, unabhängig zu sein und sich und ihren Sohn finanziell versorgen zu können: „Von meinem ersten Gehalt konnte ich meinem Sohn und mir eine Kleinigkeit gönnen.“

 

Der Beitrag erscheint, in redaktionell abgeänderter Form, in der nächsten Ausgabe des Human Resources Manager Magazins.